Es ist spät geworden. Die Küche ist wieder halbwegs sauber, der Duft von Plätzchen hängt noch in der Luft. Im Wohnzimmer ist es dunkel bis auf den Adventskranz.

„Bevor ihr ins Bett geht“, sagt Lea, „möchte ich was ausprobieren. Jeder sagt drei gute Dinge von heute. Kleines oder großes. Egal.“

Lina wirft sich aufs Sofa. „Die Plätzchen, auch die schiefen. Dass Papa nicht geschimpft hat, als sie runtergefallen sind. Und dass Ben Zombie-Sterne gemacht hat.“

Ben schnaubt. „Die sind künstlerisch wertvoll. Also gut: Ich fand gut, dass der Teig so lecker war, bevor er in den Ofen kam. Dass Emma mir bei Mathe geholfen hat. Und…“ Er zögert. „…dass keiner rumgemeckert hat, als ich Musik angemacht habe.“

Emma: „Ich fand gut, dass ich mit Mama ehrlich gesprochen habe, auch wenn’s anstrengend war. Dass wir zusammen in der Stadt waren. Und dass ich eben kurz das Gefühl hatte, wir sind ein echtes Team, als ihr alle in der Küche rumgewurstelt habt.“

Jonas: „Ich fand gut, dass ihr hier seid. Dass wir gemeinsam gelacht haben, obwohl ich gestresst war. Und dass ich mich heute noch entschuldigen konnte, bevor ich richtig laut wurde.“


Lea schließt die Augen. „Lasst eure drei Dinge kurz wie kleine Bilder auftauchen. Einatmen – da sind sie. Ausatmen – sie sinken wie kleine Steine auf den Boden eures Bauches und machen ihn schwer und warm.“

Die Küche ist verwandelt in ein Schlachtfeld aus Mehl, Teig und Ausstechformen. Lina hat Sterne, Herzen und Tannenbäume ausgestochen, Ben macht Totenköpfe mit der Sternform, indem er die Ränder abbricht.

„Das sind Zombie-Sterne“, erklärt er.
„Du machst Weihnachten kaputt!“, empört sich Lina, muss aber lachen.

Lea versucht, Bleche in den Ofen zu schieben, Jonas kommt mit einer Tasche voller Zutaten herein. „Ich glaube, ich hab die falsche Schokolade gekauft“, sagt er. „Und die Mandeln vergessen.“

Als er über Linas Rucksack stolpert, wackelt das Backblech in Leas Händen. Ein paar Plätzchen fallen auf den Boden.
„Super“, zischt Jonas. „Muss das hier immer aussehen wie…“

Man spürt, wie sich etwas in ihm aufbaut, wie der Ton schärfer werden will.


Bevor es aus ihm herausplatzt, tippt Lina an sein Handgelenk. Das rote Bändchen streift ihre Finger. „Papa“, flüstert sie. „Drei Atemzüge, erinnerst du dich?“

Jonas hält inne. Das Bild zeigt sein Gesicht im Halbprofil, den Mund noch halb geöffnet. Dann schließt er kurz die Augen und atmet einmal tief ein, langsam aus. Noch zweimal.

Die Schultern sinken. „Okay“, sagt er leiser. „Nichts ist kaputt. Plätzchen kann man vom Boden aufheben oder neu machen. Ich bin nur… ziemlich fertig.“
Ben wirft ihm einen kurzen Blick zu. „Dann setzen wir uns gleich hin, wenn das Blech drin ist“, sagt er. „Ich mach Zombie-Sterne und normale. Deal?“

Später sitzt Emma am Fensterbrett mit dem Handy am Ohr. Draußen blinken Weihnachtssterne in den Fenstern der Nachbarhäuser.

„Ja, Mama, ich weiß…“, sagt sie leise. „Ich will ja auch bei dir sein. Aber Papa… und Lea… und die Kleinen…“

Sie hört zu, die Stirn wird faltenreicher. „Ich hab einfach Angst, dass einer von euch enttäuscht ist. Egal, wie ich’s mache.“

Jonas kommt in den Flur, hört ihren leisen, engen Ton, bleibt stehen. Er macht eine Bewegung, als würde er hineingehen, bleibt dann aber unsicher an der Tür stehen. Er hört, wie Emma sagt: „Ich will nicht wählen müssen.“

Als das Gespräch vorbei ist, setzt Emma sich auf den Teppich im Flur, den Rücken an die Wand, das Handy neben sich. Jonas setzt sich vorsichtig ein Stück entfernt dazu.

„War das schwer?“, fragt er.

Emma nickt. „Ich hasse Weihnachten“, murmelt sie. „Nicht wegen Weihnachten. Wegen dem Drumherum.“

Lea kommt hinzu, ohne ein Wort zu sagen, und reicht Emma ein kleines Notizbuch und einen Stift.

„Manchmal hilft es, alles rauszuschreiben, ohne dass es jemand lesen muss“, sagt sie. „Nicht, um eine Lösung zu finden. Nur, damit es Platz im Kopf bekommt.“


Am nächsten Tag steht ein schlichter Strohkranz auf dem Wohnzimmertisch. Daneben: ein Karton mit bunten Kugeln, eine Tüte mit getrockneten Orangenscheiben und Zimtstangen, eine Schachtel mit eher kitschigen kleinen Engeln.

„Ich will Glitzer!“, ruft Lina und wühlt in den Kugeln.
Ben verdreht die Augen. „Das sieht aus wie ein explodierter Weihnachtsladen. Lass uns das einfach schlicht machen. Vier Kerzen, fertig.“
Lea kramt in der Tüte mit den Orangenscheiben. „Ich mag es gern natürlich“, sagt sie. „Holz, Tannengrün, sowas.“
Jonas steht daneben und versucht, nicht zu seufzen. „Macht doch einfach, wie ihr möchtet“, murmelte er.

Lina schaut verletzt. „Immer wenn ich was aussuche, ist es ‚zu viel‘“, sagt sie.
„Weil du alles vollhängst“, schießt Ben zurück. „Das ist nicht Weihnachten, das ist ein Deko-Unfall.“

Die Stimmen werden lauter, Hände reißen an denselben Zweigen, eine Kugel rollt über den Boden. Man spürt im Raum die bekannte Spannung, die alle schon von früher kennen.


Lea hebt plötzlich eine Hand. „Stopp. Schneeflocken-Stopp“, sagt sie.
„Was?“, fragt Ben.
„Stellt euch vor, ihr seid eine Schneeflocke, die ganz langsam auf einen Ast sinkt. Für drei Atemzüge machen wir gar nichts. Nur atmen und in eine Kerze schauen.“

Sie zündet eine der Kerzen an. Zögernd richten sich die Blicke darauf. Im Bild: Die Flamme spiegelt sich in drei Paar Augen, das vierte guckt seitlich skeptisch.

Nach drei tiefen Atemzügen sagt Lea: „Jede*r darf einen Herzens-Deko-Wunsch sagen.“
Lina: „Eine richtig glitzernde Kugel.“
Ben: „Kein Kitschengel.“
Lea: „Ein bisschen Natur – die Orangenscheiben.“
Jonas denkt kurz nach. „Dass niemand heult, weil es nicht ‚perfekt‘ ist.“

Der Küchentisch ist voll: Gläser, ein Teller mit ein paar übrig gebliebenen Keksen von gestern, ein Notizblock. Lea legt einen Stift dazu. Draußen ist es schon früh dunkel geworden, die Fensterscheiben spiegeln die Gesichter.

„Ich würd gern wissen, was ihr euch von diesem Advent wünscht“, sagt sie.
Ben lehnt sich zurück. „Dass niemand Stress macht“, sagt er. „Und keine peinlichen Familienfotos mit Weihnachtsmützen.“
Lina ruft: „Doch, unbedingt Weihnachtsmützen! Ich will, dass es sich richtig weihnachtlich anfühlt. So… wie früher. Mit allem.“

„Was ist ‚alles‘?“, fragt Jonas.
Lina denkt nach. „Lichter, Plätzchen, Musik, Geschenke, alle gut drauf… niemand streitet.“

Emma dreht den Stift zwischen den Fingern. „Ich… möchte nicht das Gefühl haben, ständig entscheiden zu müssen, wo ich sein soll“, sagt sie leise. „Ich hätt gern… Ruhe im Kopf.“

Jonas schaut auf den Tisch. „Ich wünsch mir, dass wir nicht am 24. Abend alle müde und wütend sind und keiner weiß warum“, sagt er.


Lea schiebt den Notizblock in die Mitte. „Schreibt ein Wort auf, das euren Wunsch zusammenfasst.“

Sie legen die Zettel in eine Schale neben das rote Band. „Das hier ist unsere Erinnerungsschale“, sagt Lea. „Wir müssen nicht alles sofort lösen. Aber wir sehen, was wichtig ist.“

Später, als die Jacken hängen und die Schuhe halbwegs aus dem Weg sind, kommt Lea mit einem roten Wollknäuel aus dem Arbeitszimmer. Es leuchtet wie ein kleiner Farbfleck in der noch eher grauen Wohnung.

„Was ist das?“, fragt Lina und fingert neugierig daran herum.
„Unser Adventsband“, sagt Lea. „Eine Idee von mir. Vielleicht ein bisschen schräg.“

Ben grinst schief. „Machst du jetzt Traumfänger für Weihnachten?“
„Fast“, sagt Lea und lacht. „Ich dachte: Wir sind ja keine klassische Weihnachtsfamilie. Vielleicht hilft uns etwas, das uns erinnert, dass wir trotzdem zusammengehören.“

Sie schneidet ein Stück ab, knotet die Enden zusammen und legt den roten Ring in die Mitte des Küchentisches. Zwischen Krümeln und einem Kuli sieht er aus wie etwas, das seinen Platz erst noch finden muss.

„Das Band ist unser Zeichen“, erklärt Lea. „Es erinnert uns: Wir sind verbunden. Auch wenn wir uns nerven.“
Jonas nickt. „Und vielleicht auch daran, dass wir dieses Jahr versuchen, ein bisschen achtsamer miteinander umzugehen.“

Lea sagt: „Berührt mal alle das Band und sagt einen Satz: ‚Ich bin heute hier und fühle mich…‘“
Lina legt vorsichtig einen Finger darauf. „…aufgeregt“, flüstert sie.
Ben stützt sich mit der Hand daneben. „…müde. Und skeptisch.“
Emma fingert am Knoten. „…unsicher.“
Jonas legt seine große Hand dazu. „…froh, dass ihr da seid. Und ein bisschen ängstlich, dass ich’s versaue.“

Jonas ist Anfang/Mitte vierzig. Er ist ein ruhiger, herzlicher Mann, manchmal etwas planlos und in Gedanken. Wenn er lacht, wirkt er plötzlich viel jünger, doch oft sieht man ihm die Müdigkeit an den Schultern und unter den Augen an. Er möchte unbedingt ein „guter Vater“ sein und versucht, es allen recht zu machen – seinen drei Kindern, Lea und seiner Ex-Partnerin. Dabei vergisst er häufig, was er selbst braucht. Konflikten geht er lieber aus dem Weg, macht Witze oder lenkt ab. Wenn der Druck zu groß wird, wird er schnell laut und sagt Dinge, die er hinterher bereut. Danach quält er sich mit schlechtem Gewissen. Jonas mag gemütliche Abende mit Kerzen, gutem Essen und kleinen Gesten: früh Brötchen holen, Musik anmachen, die anderen mit Kakao überraschen. Er trägt meistens einfache Pullover und Jeans, wirkt eher praktisch als schick. Seine größte Sorge ist, dass die Kinder sich bei ihm nicht wirklich zu Hause fühlen und ihn irgendwann nur noch „besuchen“. Oft hört man ihn sagen: „Ich geb mir ja Mühe…“ oder „Ist doch nicht so gemeint“, wenn er merkt, dass er jemanden verletzt hat.

Lea ist Ende dreißig, ruhig, aufmerksam und hat einen feinen, eher leisen Humor. Sie hat warme Augen, bewegt sich eher behutsam als hektisch und achtet auf kleine Dinge: ein schiefer Kerzenständer, Linas Stimmung, Bens Tonfall. Sie interessiert sich für Psychologie, Achtsamkeit und Yoga, ohne jemanden belehren zu wollen. Bücherstapel und ein Notizheft mit Ideen und Zitaten gehören zu ihr wie ihr lockerer Dutt oder Pferdeschwanz. In der Patchworkfamilie möchte sie für die Kinder wichtig sein, ohne deren Mutter zu ersetzen. Das macht sie manchmal unsicher und vorsichtig. In Stressmomenten wird sie noch freundlicher, spricht sanft, stellt Fragen und versucht, zu sortieren und zu beruhigen. Manchmal merkt sie selbst, dass sie zu viel Verantwortung übernehmen will, um Spannungen zu glätten. Von ihr kommen die Ideen für Atempausen, das rote Band und kleine Adventsrituale, die allen helfen sollen, ihre Gefühle besser wahrzunehmen. Typisch für Lea sind Sätze wie: „Lass uns kurz durchatmen“ oder „Wie fühlst du dich gerade?“ – und die Art, bei Gesprächen eine Hand an ihre Tasse zu legen, als würde sie sich daran festhalten.

Emma ist 19 Jahre alt, die Älteste der drei Geschwister. Sie studiert schon und wohnt in einer anderen Stadt. Nach außen wirkt sie ruhig, vernünftig und erwachsen. Ihre Kleidung ist schlicht, manchmal ein bisschen kreativ, sie hat fast immer Kopfhörer, ein Buch oder ihren Laptop dabei. Innen fühlt sie sich aber oft hin- und hergerissen zwischen Mutter, Vater und der Patchworkfamilie mit Lea. Sie hat das Gefühl, ständig „vermitteln“ zu müssen und alles im Blick zu behalten – Termine, Stimmungen, Erwartungen. Emma kann sehr gut zuhören und versteht meistens alle Seiten. Dabei vergisst sie leicht, was sie selbst möchte, und sagt oft: „Passt schon“, obwohl es eigentlich nicht passt. Besonders an Weihnachten ist das schwer für sie, weil sie immer das Gefühl hat, sich entscheiden zu müssen und jemanden zu enttäuschen. Sie mag ruhige Gespräche am Abend, Kerzen, Musik, gemeinsames Lachen – weniger das starre Pflichtprogramm und die Diskussionen, wer wann wo wie lange sein soll. Typische Sätze von ihr sind: „Ich versteh euch beide“ und „Ich weiß nicht, wie ich’s machen soll.“ Wenn sie ehrlich über ihre eigenen Gefühle spricht, wird ihre Stimme leiser, und ihr Blick geht oft zum Boden oder aus dem Fenster.

Ben ist 16 Jahre alt. Er ist schlagfertig, clever und viel am Handy, meistens mit Kapuze, Sneakers und dem Handy in der Hand oder auf dem Schoß. Seine Gefühle zeigt er selten direkt. Stattdessen versteckt er sie hinter Witzen, ironischen Kommentaren und Augenrollen – vor allem dann, wenn er sich verletzt, übergangen oder unwichtig fühlt. In der Patchworkfamilie hat er Angst, nur zweite Wahl zu sein, immer „irgendwo dazwischen“: zwischen Elternteilen, zwischen alten und neuen Regeln, zwischen Kind und Erwachsenwerden. Er achtet genau darauf, wer wann wie reagiert, würde das aber nie zugeben. Öffentlich sagt er, er hasst künstliche Harmonie und zu viel Kitsch. Heimlich mag er jedoch das Zusammensein, das gute Essen, gemeinsame Filme und Insiderwitze, bei denen alle gleichzeitig lachen. Wenn ihn etwas wirklich berührt, wird er eher still, spielt an seinem Ärmel oder am roten Band und wechselt das Thema, anstatt etwas Nettes zu sagen. Von ihm hört man oft: „Mega peinlich“ oder „Ist doch eh alles egal“ – Sätze, hinter denen sich oft ein sehr weiches Herz versteckt.

Lina ist 13 Jahre alt, die Jüngste. Sie ist lebhaft, fantasievoll und sehr empfindsam. Ihre Augen leuchten schnell, wenn es um Geschichten, Basteln oder Deko geht. Sie liebt alles an Weihnachten: Lichter, Glitzer, Musik, Plätzchen und das Gefühl von „heiler Welt“. Ihr Zimmer ist oft voller kleiner selbstgemachter Dinge – Sterne aus Papier, Gläser mit Teelichtern, Zeichnungen. Spannungen im Raum spürt sie sofort, noch bevor jemand laut wird. Dann zieht sich ihr Bauch zusammen, sie wird still oder fängt schnell an zu weinen. Sie bekommt schnell Angst, dass „alles kaputt geht“, wenn gestritten wird, vor allem in der Adventszeit. Am meisten wünscht sie sich ein Weihnachtsfest ohne Streit, an dem alle freundlich zueinander sind und niemand plötzlich verschwindet oder die Tür knallt. Deshalb klammert sie sich stark an schöne Bilder und Rituale: den geschmückten Baum, den Adventskranz, das Plätzchenbacken. Streit trifft sie besonders hart, aber sie kann sich auch schnell wieder freuen, wenn sich jemand entschuldigt oder sie merkt, dass die Liebe noch da ist. Typische Sätze von ihr sind: „Ich will, dass es schön ist!“ und „Jetzt ist Weihnachten kaputt…“, aber genauso oft hört man von ihr ein begeistertes: „Oh, ist das schön!“ wenn irgendwo ein Licht angeht.

Dieses Buch ist aus einer Spannung heraus entstanden, die viele Familien kennen – besonders im Advent:

Auf der einen Seite steht das Bild vom perfekten Weihnachten: Lichter, Plätzchenduft, strahlende Kinderaugen, alle sind friedlich und dankbar.
Auf der anderen Seite steht die Wirklichkeit: volle Kalender, Patchwork-Pläne zwischen zwei (oder mehr) Haushalten, alte Verletzungen, neue Beziehungen, zu viel Erwartung, zu wenig Kraft.

Für Kinder ist Weihnachten oft mit einem tiefen Wunsch verbunden:
„Bitte, dieses eine Mal soll alles gut sein.“
Vor allem Kinder in Trennungs- und Patchworkkonstellationen tragen diesen Wunsch oft still in sich. Sie wollen keine komplizierten Erwachsenenlösungen. Sie wollen Nähe, Verlässlichkeit und das Gefühl, dazu zu gehören – ohne wählen zu müssen.

Für Erwachsene fühlt sich der Advent dagegen oft an wie ein Projekt, das gelingen muss:
Geschenke, Fahrpläne, „Quality Time“, Gerechtigkeit zwischen allen Beteiligten, und bitte kein Streit an Heiligabend. Wer eine neue Partnerschaft hat, versucht zusätzlich, alte und neue Familie irgendwie zu verbinden, ohne jemandem den Platz zu nehmen.

Zwischen diesen beiden Welten spielt diese Geschichte.

„Heiligabend, heil genug“ erzählt von einer Patchworkfamilie, die nicht besonders religiös ist und trotzdem spürt, dass der Advent eine besondere Zeit ist.
Jonas, Lea, Emma, Ben und Lina haben sehr unterschiedliche Wünsche:

  • Die Kinder sehnen sich nach Weihnachtsgefühl, Kitsch, heiler Welt – und danach, dass Erwachsene es „nicht wieder kaputt machen“.
  • Die Erwachsenen wünschen sich weniger Stress, weniger Konsumdruck, weniger Drama – und sind gleichzeitig verstrickt in eigene Ängste und Schuldgefühle.

Diese Geschichte behauptet nicht, dass es ein Rezept für das perfekte Fest gibt. Im Gegenteil: Hier wird gestritten, Türen knallen, Tränen fließen.
Und genau deshalb ist sie geschrieben worden.

Sie möchte zeigen:

  • dass Streit in Familien vorkommt – auch im Advent,
  • dass Mut bedeutet, Gefühle ehrlich auszusprechen,
  • dass Nähe nicht dann entsteht, wenn alles glatt läuft, sondern wenn Menschen nach einem Konflikt wieder aufeinander zugehen,

…und dass Achtsamkeit kein Zaubertrick ist, der alle Probleme löst, sondern ein kleiner, aber wichtiger Unterschied:
Wir halten inne. Wir hören zu. Wir atmen, bevor wir weiterreden.

Das rote Band in der Geschichte steht für diese Verbindung:
Manchmal liegt es ordentlich in der Mitte, manchmal hängt es halb vom Tisch, manchmal tragen alle ein Stück davon am Handgelenk. Es erinnert daran, dass Familie nicht dadurch „heil“ ist, dass alles perfekt läuft, sondern dadurch, dass wir uns immer wieder neu verbinden – mit uns selbst und miteinander.

Dieses Buch richtet sich an Kinder, die spüren:
„Bei uns ist Weihnachten nicht wie in der Werbung – aber ich wünsche mir trotzdem Geborgenheit.“

Und es richtet sich an Erwachsene, die sich eingestehen:
„Ich schaffe es nicht, alles richtig zu machen – aber ich möchte lernend, ehrlich und liebevoll da sein.“

Vielleicht könnt ihr die Geschichte gemeinsam lesen – als Einladung, über eigene Wünsche, Ängste und Hoffnungen zu sprechen.
Vielleicht wird sie ein Adventsbegleiter, der nicht sagt: „So musst du es machen“,
sondern eher: „So könnte es aussehen, wenn wir uns erlauben, unperfekt und gleichzeitig verbunden zu sein – heiligabend, heil genug.“

Die Wohnung von Jonas und Lea riecht noch nach frisch gekochtem Kaffee, nicht nach Zimt und Tannengrün. Kartons mit Weihnachtskram stehen halb geöffnet im Flur, eine Lichterkette hängt halb aus der Kiste, als hätte sie auf halbem Weg aufgegeben.

Die Wohnungstür geht auf. Lina platzt als Erste hinein, mit rotem Rucksack und glänzenden Augen.
„Habt ihr schon den Adventskranz? Und Plätzchen? Und—“
Sie stockt, als sie die Kartons sieht.

Ben schlendert hinterher, Kapuze hoch, Kopfhörer um den Hals. „Wow“, sagt er trocken. „Volle Weihnachtswunderwelt.“

Emma tritt als Letzte ein, mit einer Reisetasche in der Hand. Sie lächelt kurz in die Runde, aber das Lächeln bleibt an den Augen hängen.
„Hey“, sagt Jonas und versucht, alle auf einmal zu umarmen. „Schön, dass ihr da seid. Wir… äh… sind noch nicht ganz fertig.“

Lina zieht die Stirn kraus. „Aber es ist doch schon Advent…“
Lea tritt aus der Küche, wischt sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. „Vielleicht können wir ihn ja dieses Jahr zusammen ankommen lassen“, sagt sie leise.


Lea zeigt aufs Sofa. „Bevor wir planen, setzen wir uns eine Minute hin. Einfach nur sitzen und merken: Ich bin da. Ohne was tun zu müssen.“
Lina zappelt, setzt sich aber. Ben bleibt erst stehen, dann lässt er sich doch in die Sofaecke fallen. Emma stellt ihre Tasche ab und rutscht an die Armlehne.

„Schließt mal kurz die Augen, wenn ihr wollt“, sagt Lea. „Nur einen Atemzug lang ein… und aus…“